Schlagwort: Stückbohrverfahren

Verfahren, Prozess, Technik

Stückbohrverfahren

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts entwickeltes Verfahren zur Herstellung von Geschützen. Dabei wurde der Geschützkörper solide gegossen und das Kanonenrohr anschliessend ausgebohrt.

Geschütze wurden in Europa bis im 17. Jahrhundert mittels Hohlgussverfahren hergestellt. Dabei fertigte man die «Seele» des Geschützes, also das Kanonenrohr, indem der Geschützgussform ein Kern eingesetzt wurde, um welchen sich der Bronzeguss verfestigte. In einem späteren Schritt glich man das so hergestellte Geschützrohr in Handarbeit durch Ausraspeln aus. Dieses Verfahren war mit zahlreichen Problemen behaftet: Der Kern konnte etwa schräg in der Gussform liegen, das Metall unregelmässig abkühlen, die Wände zu dünn geraten.

Der Burgdorfer Dreher Johann Maritz (1680–1743) führte um 1715 in Berner Diensten als einer der Ersten erfolgreich das Stückbohrverfahren ein. Dabei wurden die Geschütze zunächst im Vollgussverfahren hergestellt, um ihnen danach auf einer massiven Drehbank den Lauf auszubohren. Da der Bohrkopf bankfest war und das um die Achse drehende Geschütz fest eingespannt lag, konnten die Bohrdimensionen äusserst exakt eingehalten werden.

Maritz und später sein Sohn, Jean Maritz der Jüngere, verbreiteten in Königlichen Diensten das Stückbohrverfahren in Frankreich (Fonderie Ruelle, Fontes d’artillerie à Lyon, Geschützgiesserei Strassburg) und später in Spanien (Barcelona, Sevilla). In den Niederlanden und in Grossbritannien wurde das Verfahren durch den Holländer Jan Verbruggen eingeführt.

Diese Maschinen, im Grunde überdimensionierte Drehbänke, waren überaus wertvoll und gar nicht so einfach herzustellen. Die von Jean Maritz dem Jüngeren in der Mitte des 18. Jahrhunderts eingeführte Stückbohrmaschine von Ruelle war bis in die 1840er-Jahre in Betrieb. Ein weiterer Beweis für den überaus grossen Wert einer guten Stückbohrmaschine ist die Entwendung der Bohrmaschine der Landesherrlichen Stückgiesserei Hannover durch Napoleon.

Johann Conrad Fischer war durch ein besonderes biografisches Band mit der Stockholmer Stückbohrmaschine verbunden: Sein Vater Johann Conrad Fischer der Ältere hatte über Jahre bei Andreas Schalch in der Königlichen Giesserei in Woolwich gearbeitet, die auch eine Stückbohrmaschine besass. Es war diese Maschine, die jener in Stockholm als Vorbild diente.

Gegen Ende des Jahrhunderts fand dieses Know-how auch im jüngsten Zweig der Maschinenindustrie Verwendung: in der Herstellung von Dampfmaschinen. Ähnlich wie bei Geschützen wurde der Zylinder der Dampfmaschinen als ganzes Stück gegossen und der Innenraum danach ausgebohrt. Damit die Dampfmaschine einwandfrei lief, musste der Innenraum des Zylinders möglichst präzise ausgebohrt werden. Der Pionier der Dampfmaschinenproduktion, die Firma Boulton und Watt, wandte dieses Verfahren an.

Auch Kanonenbohren genannt.

piece-drilling-process

A process developed at the beginning of the 18th century to produce cannons. The body of the cannon was cast as one solid piece, and the barrel was subsequently hollowed out.

Until well into the 17th century, cannons in Europe were produced by the hollow casting method. The cannon’s ‘soul’, the barrel, was produced by placing a core in the cannon mould around which the bronze casting would solidify. The barrel was then hand-reamed to a smooth finish. The whole process, however, was beset by many problems: the core might not be placed correctly in the mould, the metal might cool unevenly, the walls might be too thin.

Johann Maritz (1680–1743), a turner from Burgdorf in the service of Berne, was among the first in 1715 to introduce the piece-drilling process. The cannons were first manufactured as a solid piece, then placed on a huge lathe in order to hollow out the barrel. The drill was held in place while the barrel was firmly clamped and turned around its axis, allowing the operator to reproduce the precise drill dimensions.

Maritz and later his son, Jean Maritz the Younger, introduced the piece-drilling process while in the service of the kings of France (Fonderie Ruelle, Fontes d’artillerie à Lyon, Strasbourg cannon foundry) and later in Spain (Barcelona, Sevilla). The process was introduced in the Netherlands and in Great Britain by the Dutchman Jan Verbruggen.

These machines, basically oversized lathes, were extremely valuable and not at all easy to produce. The Ruelle piece-drilling machine introduced by Jean Maritz the Younger in the middle of the 18th century remained in operation until the 1840s. Further proof of the very great value of a good piece-drilling machine is the fact that Napoleon stole the drilling machine belonging to the cannon foundry of Hanover.

Johann Conrad Fischer had a special biographical link to the Stockholm piece-drilling machine: His father, Johann Conrad Fischer the Elder, had worked for some years under Andreas Schalch in the Royal Foundry in Woolwich, which also had a piece-drilling machine. It was this machine that was the model for the one in Stockholm.

This know-how spread towards the end of the century into the newest area of the machine-tool industry, namely the production of steam engines. As with cannons, the cylinder of the steam engine was cast as a single piece and the cylinder was then bored. To ensure the machine’s perfect operation, the drilling of the cylinder had to be as precise as possible. The pioneers of steam engine production, the firm of Boulton und Watt, employed the cannon-drilling process.

  • Fischer, Johann Conrad: Tagebücher. Bearbeitet von Karl Schib. Schaffhausen 1951.
  • Schafroth, Max F.: Die Geschützgiesser Maritz. Geschichte Einer Erfindung Und Einer Familie. In: Burgdorfer Jahrbuch 20 (1953), S. 9–39.
  • Schafroth, Max F.: Die Geschützgiesser Maritz. II.Teil. In: Burgdorfer Jahrbuch 21 (1954), S. 11–39.

Stückbohrverfahren erscheint in

 
Signatur Titel Datum Verzeichnungsstufe Sonstiges
GFD 3/7 Horizontale Bohrmaschine in der Königlichen Stückgiesserei zu Woolwich (Zeichnung von Jan Verbruggen, um 1778) 1778 Einzelstück: 1 Digitales Foto digitalisiert | öffentlich
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